Aktuelles:

Uhr

Der Tag der Artenvielfalt auf der Heideterrasse

Neu- und Wiederfunde des bürgerwissenschaftlichen Forschermarathons im Juni 2016

Untersuchungspunkt am Fliegenberghang in der Wahner Heide

Untersuchungspunkt am Fliegenberghang in der Wahner Heide

© Holger Sticht
Am 18. und 19. Juni 2016 fand die bundesweite Hauptveranstaltung des GEO-Tags der Artenvielfalt auf der Bergischen Heideterrasse statt. Obwohl diese Veranstaltungsreihe insbesondere dazu dient, für die biologische Vielfalt und ihre Erforschung zu werben - an diesem Wochenende lieferte sie trotz schlechter Wetterbedingungen auch aus wissenschaftlicher Sicht einige bedeutsame Erkenntnisse.

Der GEO-Tag der Artenvielfalt ist die größte Feldforschungsaktion Europas. Wie auch in den drei Jahren zuvor war der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Partner der Zeitschrift GEO bei der Ausrichtung der Hauptveranstaltung, die in diesem Jahr unter dem Leitmotiv "Biotopverbund" stand. Unterstützt wurden sie u.a. durch die Stadt Troisdorf als Gastgeber des Forschercamps.

Gerade die südliche Heideterrasse war für dieses Thema prädestiniert, weil hier beispielsweise das Bündnis Heideterrasse, ebenfalls einer der Projektpartner, seit Jahren Maßnahmen der Wiedervernetzung initiiert und umsetzt. Eine besonders anspruchsvolle Aufgabe aufgrund der Lage an einem der größten Ballungsräume der Welt mit unzähligen Straßen und Nutzungsinteressen.

Der Naturraum Bergische Heideterrasse ist ein oft kaum einen Kilometer schmales, aber ungleich längeres Landschaftsband, das sich auf der rechtrheinischen Mittel- und Hauptterrasse von der Sieg im Süden bis zur Ruhr im Norden erstreckt. Über 25 Naturschutzgebiete sollen diesen Hot Spot der biologischen Vielfalt sichern, u.a. mit dem größten Nordrhein-Westfalens: den durch Grünbrücken wieder verbundenen Wahner Heide und Königsforst.

Auch in diesem Jahr ging es wieder darum, biologische Vielfalt sichtbar, aber auch ihre Erforschung erlebbar zu machen. Denn nicht nur die Artenvielfalt, auch die Artenkenntnis schwindet. Eine bedenkliche Entwicklung vor dem Hintergrund, dass unser Wissen um Vorkommen und Verbreitung von Arten sowie unsere Roten Listen hauptsächlich ehrenamtlich ermittelt werden. Ohne solche Kenntnisse könnten keine geeigneten Schutzmaßnahmen entwickelt und umgesetzt werden. Der bürgerwissenschaftliche Ansatz, den sich auch der GEO-Tag zu Eigen macht, hat sich als eines der wichtigen Instrumente erwiesen, um hier gegensteuern zu können. Hier werden Wanzen und Spinnen plötzlich auch für Laien zugänglich und sogar attraktiv, der anonyme Begriff der biologischen Vielfalt bekommt viele bunte Gesichter.

So auch am dritten Juni-Wochenende im Jahr 2016. Aus ganz Deutschland waren Expert*innen angereist, um u.a. die Ohligser Heide bei Solingen, die Dellbrücker Heide bei Köln und die Wahner Heide bei Troisdorf unter die Lupe zu nehmen und an ihrem Wissen teilhaben zu lassen. Dabei konnte und sollte systematische Erforschung über Monate und Jahre nicht ersetzt, sondern vielmehr befördert werden. Das zeigt das Beispiel der TausendFüßer.

Sumpfgras-Spannereule

Sumpfgras-Spannereule

© Tim Laußmann
Jedes Kind kennt diese Tiere, doch wissen wir vergleichsweise wenig über sie. Weder für Deutschland noch für NRW gibt es eine Rote Liste, weil es zu wenige TausendFüßerforscher gibt. Deswegen wissen wir auch kaum, wie es um sie bestellt ist und was wir ggf. für ihren Schutz tun müssten. Auf der südlichen Heideterrasse konnten Dank des GEO-Tags erstmalig überhaupt Aufnahmen über diese Gruppe durchgeführt werden. Die chinesische Forscherin Weixin Liu und Dr. Thomas Wesener vom Zoologischen Forschungsmuseum König fanden in Dellbrücker Heide, Wahner Heide und Lohmarer Wald insgesamt 21 Arten aus den Klassen der HundertFüßer Chilopoda und der DoppelFüßer Diplopoda. So konnte zumindest schon einmal eine Basis für weitere Untersuchungen und ihre Bewertung im Gebiet und darüber hinaus in NRW gelegt werden.

Bei Artengruppen, die ungleich besser untersucht sind oder über welche Untersuchungen aus der Vergangenheit vorliegen, können die Ergebnisse unmittelbar bewertet werden. Beispielsweise bei Wanzen und Schmetterlingen war dies der Fall. Aber der Reihe nach.

In der Ohligser Heide gelangen bei nächtlichen Lichtfängen die meisten Nachweise von Schmetterlingen. Sicher auch, weil der Regen im nördlichsten Untersuchungsraum des Wochenendes, anders als an allen anderen Standorten, abends abklang.

Besonders bedeutsam war der Nachweis der Sumpfgras-Spannereule Macrochilo cribrumalis. Die Art, deren Raupen u.a. an verschiedene Seggenarten gebunden sind, ist in NRW vom Aussterben bedroht. Der Sumpfwiesen-Perlmutterfalter Boloria selene ist ein in der Niederrheinischen Bucht vom Aussterben bedrohter Tagfalter, der ähnliche geschützte und gefährdete Lebensräume besiedelt, doch zur Fortpflanzung verschiedene Veilchenarten auf unbewaldeten Standorten benötigt.

Ein besonderes Highlight war die mehrfache Beobachtung der in NRW vom Aussterben bedrohten Großen Moosjungfer Leuchorrhinia pectoralis, sowohl in der Ohligser Heide als auch im FFH-Gebiet Further Moor. Letzteres könnte tatsächlich eine Fortpflanzungsstätte dieser als FFH-Art EU-weit streng geschützten Libellenart der Moorgewässer darstellen. Der belastbare Nachweis der Bodenständigkeit kann vielleicht in den kommenden Jahren über die Larven oder Larvenhäute erbracht werden, der GEO-Tag lieferte hier einen wichtigen Anhaltspunkt.

Nachbestimmung im BUND-Bufo-Bus an der Burg Wissem

Nachbestimmung im BUND-Bufo-Bus an der Burg Wissem

© BUND RSK
Die Untersuchungen in der Wahner und Dellbrücker Heide wurden durch die denkbar schlechte Wetterlage beeinträchtigt. Für die Jahreszeit ungewöhnlich niedrige Temperaturen und Dauerregen am 18. Juni, bis tief in die Nacht des 19. Juni hinein machten Nachweise bei einigen Artengruppen - so zum Beispiel bei Bienen oder Heuschrecken - schwer bis unmöglich. Umso erstaunlicher sind einige der Beobachtungen.

In der Dellbrücker Heide konnte der Pilzkundler Lothar Radtke erstmalig den Zwerg-Bovist Bovista pusilla feststellen. Die in NRW stark gefährdete Art ist auf trockene und nährstoffarme, unbewaldete Sandböden angewiesen. Ebenfalls erstmalig überhaupt wurde Dank des GEO-Tags die Ameisenfauna des Gebiets untersucht. Die Ausbeute von 10 Arten war dem miserablen Wetter geschuldet, doch waren diese immerhin allesamt Erstfunde. Und mit Tapinoma subboreale gelang der Nachweis einer in NRW stark gefährdeten Art, die in Sandtrockenrasen kleine Hügelnester errichtet. Helga Simon konnte 28 Wanzenarten erstmalig für das Gebiet feststellen, darunter auch die bundesweit gefährdete und auf Besenginster spezialisierte Weichwanze Asciodema obsoleta.

In der Wahner Heide tummelten sich an zahlreichen Standorten die mit Abstand meisten Entdecker, sodass hier die Zahl der Funde die der anderen Heideterrassengebiete naturgemäß übertraf.

Der Fund der aus Ostasien stammenden Süßwasserqualle Craspedacusta sowerbii war nicht nur wegen dieser außergewöhnlichen Art, sondern auch wegen ihres Entdeckers spektakulär: der 13 Jahre junge Stefan Emmerich wusste mit seinem profunden Wissen zur Limnologie und seiner Leidenschaft für die biologische Vielfalt zu begeistern. Er stand beispielhaft für die Vielzahl der Forscher*innen, die ja tatsächlich kein Biologiestudium aufweist, sondern vielmehr zeigt, dass Talent und Wissensdurst entscheidende Voraussetzungen darstellen. Er brachte eine Meduse vom Förstchensteich zum Forschercamp an der Burg Wissem mit, sodass viele - auch Millionen von WDR-Zuschauern - ihre erste Süßwasserqualle zu Gesicht bekamen. Immerhin der Erstfund dieser Art für das Gebiet der Heideterrasse, wenngleich sie - nach ihrer Entdeckung im Dornheckensee bei Bonn im Jahr 1956 - inzwischen an vielen Stillgewässern der Region gefunden worden ist.

Wissenschaftlich bedeutsamer waren da die für den Naturraum neuen Funde hochgradig gefährdeter Fledermausarten. Ein Forscherteam um Simon Rippberger vom Naturkundemuseum Berlin konnte in der Wahner Heide die Bechsteinfledermaus Myotis bechsteinii an der Hörwiese und den Altenrather Fischteichen, die in NRW vom Aussterben bedrohte Mopsfledermaus Barbastella barbastellus im Geisterbusch und die Breitflügelfledermaus Eptesicus serotinus am Paradeplatz erstmalig feststellen.

© Jochen Vorfelder
Aufgrund des Regenwetters waren die Insektenfunde vergleichsweise unterrepräsentiert. Dies galt zumindest hinsichtlich der Arten- und Individuenzahlen auch für die nächtliche Suche nach Schmetterlingsarten. Während sich die Kreuzkröten Bufo calamita - in der Wahner Heide häufig, aber bundesweit gefährdet - an den wiederauffüllenden Laichgewässern erfreuten und dies mit Balzchören lautstark bekundeten, mussten die Forscher*innen eine große Beharrlichkeit an den Tag - oder besser gesagt die Nacht - legen, um Entdeckungen zu machen. Aber dies sollte sich lohnen.

So konnte Marko Eigner den Nesselglockenblumen-Blütenspanner Eupithecia denotata, eine in ganz NRW gefährdete Art, zum ersten Mal überhaupt für die Niederrheinische Bucht in der Altenrather Tongrube nachweisen. Er bestimmte auch den Rotrandbär Diacrisia sannio, der in der Niederrheinischen Bucht bislang als ausgestorben galt. Er war bereits im Jahr zuvor in der nördlichen Wahner Heide wiederentdeckt worden. Jörg Glaser von der Entomologischen Fachgruppe der Uni Chemnitz gelang am selben Standort der Wiederfund des in Nordrhein-Westfalen als ausgestorben geltenden Espen-Saumspanners Epione verspertaria.

Bei den Wanzen dagegen war auch die Artenzahl erstaunlich hoch. Bei bisher für die Wahner Heide 218 bekannten Arten konnten u.a. Helga Simon sowie Susanne Gruber und Viktor Hartung an diesem Wochenende 129 Arten finden. Dazu zählten mit der Bodenwanzenart Peritrechus gracilicornis und der Weichwanze Systellonotus triguttatus - beide bisher leider ohne deutsche Namen - 2 Arten, die erstmalig für NRW entdeckt werden konnten.

So hatte diese letzte Biodiversitätsinventur unter dem Titel "Tag der Artenvielfalt", die seit 2017 unter dem Namen "GEO-Tag der Natur" firmiert, aller nassen Umstände zum Trotz doch einige erstaunliche Funde ermöglicht.

Allen, die ihr Wissen und ihre Zeit hierfür zur Verfügung gestellt hatten, sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Die Daten stehen nun nach ihrer Auswertung auf Anfrage zur Verfügung und werden durch die AG Ökologie im Bündnis Heideterrasse weiter gepflegt.

Eindrücke vom GEO-Tag 2016 

Heideportal Turmhof, Logo
Bündnis Heideterrasse e.V.